Kinder schlichten Streit

In spielerischen Szenen haben Kinder Möglichkeiten kennengelernt, mit Konflikten umzugehen und sie konstruktiv zu lösen. Das Streitschlichter-Projekt hat die Kommunikation im Kita-Alltag positiv verändert.

Zwei Kinder in der Bauecke streiten sich heftig um ein Auto. Es wird zunehmend lauter. Die Erzieherin will sofort losspringen, kann aber ihre Tätigkeit mit anderen Kindern nicht so schnell unterbrechen. „Ich komme gleich“, ruft sie den Kindern zu, als der 6-jährige Niklas zu ihr sagt: „Ich regle das schon.“ Etwas irritiert und zugleich auch neugierig, wie er das macht, beobachtet sie Niklas aus der Ferne. Er fragt: „Leute, was ist los, kann ich euch helfen?“ - eigentlich ihr Standardsatz. Die streitenden Kinder sind erstaunt, fangen aber gleich an, Niklas vom Streit zu erzählen. Sie sitzen zu dritt auf dem Fußboden und beginnen zu überlegen, wie sie nun weiterspielen könnten und wer mit dem Auto letztendlich fahren darf. Sie einigen sich und spielen friedlich weiter.

Niklas ist der erste Streitschlichter im Kindergarten Otter. Er ahmt nach, was er von seinen Erzieherinnen abgeschaut hat, nämlich einen Streit mit Hilfe von Mediation zu klären. Mediation ist eine Möglichkeit, konstruktiv mit Konflikten umzugehen. Das Verfahren wurde in den 60er und 70er Jahren in den USA entwickelt und zur Lösung von Konflikten in vielen Lebensbereichen eingesetzt.

Definition

Mediation ist die Vermittlung in Konflikten durch eine dritte, unparteiische Person mit dem Ziel der einvernehmlichen Streitbeilegung zu beiderseitigem Vorteil. Wählen Erzieherinnen Mediation zur Konfliktlösung unter Kindern, werden sie also zu Vermittlerinnen (Mediatorinnen), die den Konfliktparteien helfen, eigene Lösungen zu finden. Sie selbst nehmen eine unparteiische Position ein. Diese Form der Konfliktregulation erfordert anfangs Zeit und Übung. Aber auch nicht jeder Konflikt muss detailliert aufgearbeitet werden und nicht in jeden Streit müssen sich Erzieherinnen einmischen. Es geht vielmehr um ihre Einstellung und Haltung zu Konflikten und darum, Kindern zu ermöglichen, selbst eine Lösung zu finden - was ihnen erfahrungsgemäß häufig gelingt. Die Lösungen der Kinder sind oft fantasievoll und ungewöhnlich. Wichtig ist, sie nie zu werten oder in Frage zu stellen. Die Problemlösung der Kinder muss nicht die Lösung der Erzieherin sein. Professionelles Beobachten hilft zu erkennen, in welchen Situationen Kinder oder ein einzelnes Kind ihre besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung brauchen.

Kinder ihre Konflikte selbst lösen lassen

Die Idee eines Streitschlichter-Projekts hat sich aus der Beobachtung des 6-jährigen Niklas entwickelt. Selbstbewusst ist er auf die Kinder zugegangen und wie selbstverständlich sind die Kinder über ihren Konflikt ins Gespräch und zu einer gemeinsamen Lösung gekommen. Das setzt soziale und emotionale Kompetenz voraus.

Aus dieser Beobachtung entwickelten sich die Ziele für das Streitschlichter- Projekt1:

  • Sensibel werden für Mitmenschen und für die Umwelt und lernen, respektvoll miteinander umzugehen. Geht es dem anderen schlecht? Wie kann ich helfen? Braucht es die Unterstützung eines Erwachsenen?
  • Konflikte nicht als negativ oder beängstigend erleben, sondern als ein Signal dafür, dass etwas in der Beziehung nicht stimmt.
  • Streit ist mit Gefühlen verbunden, die man zeigen darf. Die Kinder lernen eigene Gefühle kennen, lernen damit umzugehen und mit anderen mitzufühlen (Empathie).
  • Verständnis für das Wesen eines Konflikts entwickeln und lernen, Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, dabei lösungsorientiert zu denken, sich auszutauschen und zu einer gemeinsamen Einigung zu kommen.

Das Streitschlichter-Projekt startet mit zukünftigen Schulkindern. Es beinhaltet acht Bausteine:

  1. Baustein
    Wer bin ich - was kann ich
    Zu Beginn des Projekts ist es wichtig, dass sich die Kinder wohlfühlen und eine Vertrauensbasis entsteht. Nach einem Kennenlernspiel malt jedes Kind auf, was es besonders mag und kann und stellt sein Bild in der Runde vor. Die anderen Kinder ergänzen ihre Sicht. So kann jedes Kind seine eigenen Stärken und die der anderen bewusst wahrnehmen. Die positive Einstellung zu sich selbst stärkt das Selbstvertrauen und die Selbstständigkeit. Diese Kompetenzen sind eng verknüpft mit der Fähigkeit zu kooperieren und Beziehungen aufzubauen.
  2. Baustein
    Gefühle wahrnehmen, äußern und darstellen
    In diesem Baustein lernen die Kinder, dass Gefühle zu jedem Menschen und zum Leben dazugehören. Sie bereichern das Zusammenleben. Im Rollenspiel stellen die Kinder unterschiedliche Gefühle wie Freude, Wut, Traurigkeit und Befindlichkeiten wie Schmerzen dar, benennen und unterscheiden sie. Ziel des Bausteins ist es, emotionale Kompetenzen der Kinder zu stärken. Eigene Gefühle wahrzunehmen und diese zu zeigen hilft, andere besser zu verstehen.
  3. Baustein
    Körpersprache
    Gefühle können mit dem ganzen Körper ausgedrückt werden: durch Mimik, Gestik, Haltung und Bewegung. Die Kinder beobachten sich in unterschiedlichen Spielszenen. Durch das Wahrnehmen der Gefühlslage des anderen wird die Empathie der Kinder gefördert.
  4. Baustein
    Zuhören lernen
    In einem kurzen Rollenspiel zeigen zwei Erwachsene aufmerksames und unaufmerksames Zuhören. Gemeinsam mit den Kindern wird die Szene reflektiert und überlegt, worauf es denn beim genauen Zuhören ankommt.
  5. Baustein
    Streitregeln
    Sinnvolle Regeln und Strukturen geben Orientierung und erleichtern den Alltag. Dennoch kommt es im Zusammenleben zu Konflikten. Die Kinder überlegen, wann es zu Streit kommt, warum streiten wichtig ist und wie man sich fair streiten kann. Sie stellen hilfreiche Streitregeln auf wie „nicht hauen, nicht kneifen, nicht beschimpfen“. Die Streitregeln werden aufgemalt und für alle sichtbar aufgehängt.
  6. Baustein
    Streit schlichten
    Dieser Baustein beginnt mit einer Geschichte. Sie erzählt, wie sich zwei Kinder streiten. Ein Freund kommt hinzu und schlichtet den Streit. Streiten ist wichtig, sich wieder zu vertragen auch. Manchmal schafft man das aber nicht. Dann braucht es jemanden, der einem hilft. Das kann ein Erwachsener sein oder ein Freund/eine Freundin.
    Im Gespräch gehen die Kinder folgenden Fragen nach und lernen einzelne Handlungsschritte kennen:
    • Was ist ein Streitschlichter?
    • Wie kann ein Streitschlichter helfen?
    • Was muss ein Streitschlichter machen, damit sich die Kinder wieder vertragen?

    Kann ich helfen?
    Worüber habt ihr euch gestritten?
    Wie wollt ihr weiterspielen? Wer hat eine Idee?
    Wir vertragen uns und geben uns die Hand.

  7. Baustein
    Was ist ein Streitschlichter
    Die Kinder erfinden Rollenspiele und erproben auf ihre Weise das Schlichten eines Streits anhand des Leitfadens.
    Svea, 6 Jahre: „Ich habe mich als Streitschlichter gemalt und in die Mitte gestellt, da ich ja Streit schlichten will. Die beiden neben mir haben sich nämlich gestritten. Sie sind ganz schön wütend, deshalb haben sie auch ein gebrochenes Herz. Es geht ihnen nicht gut. Mir geht es gut, deshalb habe ich ein heiles Herz. Ich will ihnen helfen, sich wieder zu vertragen, damit sie auch wieder ein heiles Herz bekommen.“
  8. Baustein
    Urkunden
    Am Ende des Projekts bekommen die Kinder als Anerkennung eine Urkunde. Jedes Kind im Kindergarten weiß, dass es sich bei einem Streitschlichter Rat und Hilfe holen kann.

Kreative Lösungen verändern den Alltag

Seitdem das Projekt regelmäßig durchgeführt wird, gibt es nicht unbedingt weniger Konflikte. Die Kinder gehen aber offener, gesprächsbereit und wertschätzender miteinander um. Sie sind kreativ, wenn es um Lösungen von Konflikten geht. Ihre Vermittlungsvorschläge finden Anerkennung und Akzeptanz.

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